
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt
Risiken und Chancen der Digitalisierung für die Arbeitswelt

München (fa). Es ist wohl nicht mehr mit einer neuen, bahnbrechenden Innovation im Bereich der Dampftechnik zu rechnen, während das Potential von Computern und Internet grenzenlos zu sein scheint. Big Data, Künstliche Intelligenz, E‑Clouds, augmented reality – das sind die Begriffe, die unsere Gegenwart bereits prägen, genauso wie Industrie 4.0, Industrial IoT oder Digitale Revolution.
Zweifelsohne wird die voranschreitende Digitalisierung auch weiterhin großen Einfluss auf jeden unserer Lebensbereiche nehmen. Die Frage, die für uns als Personalberatung von besonderem Interesse ist, lautet: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Arbeitswelt und welche Chancen und Risiken gehen damit einher? Und auf welche Art und Weise wird die Digitalisierung Unternehmen, Arbeitnehmer und die Arbeit im Allgemeinen beeinflussen?
Recherchiert man ein wenig über die Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Arbeit, stößt man schnell auf Überschriften wie „Digitalisierung – Jeder fünfte deutsche Job bedroht“ oder „Droht durch die Digitalisierung das Ende der Arbeit?“. Der Diskurs zu diesem Thema scheint von negativen und pessimistischen Prognosen dominiert zu werden, von Massenarbeitslosigkeit durch Rationalisierung und Automatisierung ist die Rede. Bereits 2013 sorgte eine Studie der US-amerikanischen Forscher Frey und Osborn mit der Aussage für Wirbel, knapp die Hälfte aller Jobs in den USA seien durch die fortschreitende Digitalisierung gefährdet. Zu dieser alarmierenden Zahl kamen die beiden Wissenschaftler, indem sie mit Hilfe von Experten das Automatisierungspotential von 702 Berufen schätzten und in verschiedene Gefährdungsstufen unterteilten. Bei dem Übertragungsversuch jener Studie auf den deutschen Arbeitsmarkt kamen Bonin et al. jedoch zu dem Fazit, dass in den USA nur knapp 9% und in Deutschland nur 12% aller Arbeitsplätze wirklich von der Digitalisierung bedroht seien, da „in erster Linie Tätigkeiten und weniger Berufe automatisiert werden (…)“. Die niedrigen Prozentwerte von Bonin et al. waren also Folge der, von Frey und Osborn nicht berücksichtigten Tatsache, „dass Beschäftigte (…) auch schwer automatisierbare Tätigkeiten ausüben,“ und ein Arbeitsplatz logischerweise nicht direkt wegfällt, nur weil eine, mit dem Beruf in Verbindung gebrachten Tätigkeiten, theoretisch von einer Maschine ausgeführt werden könnte.
Trotz dieser beträchtlichen Fehlannahme erfuhr die Studie von Frey und Osborn großes öffentliches Interesse, was wohl auch einer der Gründe dafür ist, dass öffentliche Diskussionen zu diesem Thema oftmals in einem pessimistischen Kontext geführt werden, während die Chancen und Potentialszenarien der Digitalisierung eher weniger Beachtung finden. Um diesem komplexen Thema gerecht zu werden sollte man also nicht bloß fragen „Wie viele Arbeitsplätze fallen weg?“, sondern eigentlich „Welche Arbeitsplätze fallen weg, welche Arbeitsplätze entstehen und wie verändert sich die Qualität der Arbeit?“
Die Antwort auf den ersten Teil der Frage scheint schnell gefunden, denn sowohl die Ergebnisse der amerikanischen als auch der deutschen Studie stimmten in dieser Hinsicht überein: Eine besonders hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit besitzen Geringverdiener und Geringqualifizierte die routinierte Tätigkeiten ausüben, insbesondere in den Bereichen der Logistik und des Transports. Bis zu 70% aller Berufe in diesen beiden Sektoren seien, vor allem durch die Entwicklung von immer besseren autonom gesteuerten Fahrzeugen und Drohnen, gefährdet. Aber auch in den Bereichen des Gesundheitssektors, der Energie- und der Finanzwirtschaft rechneten die beiden Forscherteams mit einem starken Rückgang an Arbeitsplätzen.
Auf der anderen Seite entstehen durch die Digitalisierung auch zahlreiche neue Jobs. Der Aufstieg von Unternehmen wie Apple, Facebook oder Google wäre ohne die Digitalisierung nicht möglich gewesen; sie und tausende Start-ups im Techbereich haben einen großen Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften. Doch nicht nur bei Tech-Firmen entstehen neue Arbeitsplätze durch die Digitalisierung. Die weiter voranschreitende Vernetzung von Systemen und der immer größer werdende Einfluss von Internet, Clouds, Computeralgorithmen, Automatisierung und spezieller Software, steigert die Nachfrage nach IT- und Softwarespezialisten in allen Wirtschaftssektoren.
Laut dem Ökonomen Jens Südekum des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie hat der Einsatz von Robotern in Deutschland bisher an die 275.000 Industriearbeitsplätze gekostet, im selben Zeitraum entstanden allerdings in anderen Branchen vergleichbar viele neue Arbeitsplätze. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt ist, dass durch den Einsatz von moderner Technik und Robotern eine Effizienzsteigerung erreicht und somit das Wachstum eines Unternehmens begünstigt werden kann. Also selbst wenn für einen kurzen Zeitraum Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen, entstehen in den Folgejahren häufig durch das auf die Rationalisierung folgende Wachstum, neue Arbeitsplätze.
Die Aussage, dass die Digitalisierung massenweise Arbeitsplätze kosten wird, ist von der momentanen Faktenlage aus betrachtet also unwahrscheinlich, auch wenn sie, wie jede Zukunftsprognose, vorerst nicht widerlegt werden kann, sprechen alle bisherigen beobachteten Trends dagegen.
Verlagerung der Kompetenzen durch die Digitalisierung
Was jedoch als relativ realistisches Szenario angesehen werden kann, ist die Verschiebung von Arbeitsanforderungen und Kompetenzen in Folge der Digitalisierung. Doch auch hier gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, in wie weit eine Verschiebung der Arbeitsqualität bevorsteht. Gegenüber der gängigen „Upgrading“ Theorie steht die These der „Polarisierung“ von Qualifikationen. Ersteres meint, dass einfache Tätigkeiten wie Fließbandarbeit oder Lieferdienste komplett durch die Automatisierung/Digitalisierung verschwinden und ausschließlich höher qualifizierte Arbeitsplätze in Zukunft sicher und erforderlich seien werden, da sich die Rolle des Menschen in der Arbeitswelt von morgen vom „Maschinensteuerer“ zum Erfahrungsträger, Entscheider, Kontrolleur und Koordinator wandeln wird.
„Polarisierungs“-Anhänger prognostizieren einen starken Anstieg an extrem qualifizierten und sehr unqualifizierten Berufen, während viele Jobs der mittleren Qualifikationsgruppe komplett verschwinden würden. Diese Annahme wird durch die immer weiter zunehmende Intelligenz der Maschinen begründet, die Theorie vom „Upgrading“ von Qualifikationen treffe auf die nächsten zehn bis zwanzig Jahre zu, danach sei die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz jedoch weit genug fortgeschritten, um einen Großteil der mittelklassigen Tätigkeiten zu übernehmen. In diesen Bereich fallen Berufe wie Steuer- und Finanzberater, Büro- und Sekretariatskräfte oder Buchhalter. Zeitgleich könnten ehemals komplexe Berufe durch die Verknüpfung verschiedener Systeme und Algorithmen stark vereinfacht und dadurch eine „Dequalifizierung“, bzw. ein „Downgrade“ erfahren, in dessen Folge noch mehr Berufe der Mittelklasse verschwinden würden. Dem gegenüber wird es eine gesteigerte Nachfrage an sehr gut ausgebildeten Arbeitskräften geben, deren Aufgaben auf Grund ihrer hohen Komplexität nicht automatisiert werden können. Gleichzeitig wird es laut dieser Theorie höchst wahrscheinlich nicht möglich sein, den Großteil der wenig qualifizierten Beschäftigungen maschinell ausführen zu lassen, da es;
1. sich finanziell nicht rentiert, Geringverdiener wie z.B. Putzkräfte durch Maschinen zu ersetzen.
2. rein technisch nicht möglich sein wird, auf motorischer Ebene anspruchsvolle und komplexe Arbeit, wie z.B. die von Bauarbeitern vollständig maschinell zu ersetzen.
3. soziale Interaktion erfordernde Berufsgruppen wie Pflegekräfte oder Erzieher gibt, deren Tätigkeiten schlichtweg nicht durch emotionslose Roboter ausgeführt werden können. (Gleiches gilt natürlich auch für soziale Interaktion erforderliche Berufe der „höheren“ Qualifikationsstufen, wie beispielsweise Psychologen)
Fassen wir die Polarisierungstheorie also noch einmal kurz zusammen: Während einige Beschäftigungen der mittleren Qualifikationsstufe durch die zunehmende Intelligenz der Maschinen ersetzbar oder durch technische Vereinfachung in ihrer Hochwertigkeit herabgestuft werden könnten, sind viele, als gering qualifiziert eingestufte Tätigkeiten eher nicht automatisierbar. Gesellschaftlich hätte dies wohl eine noch drastischere Teilung der Bevölkerung in Gut- und Schlechtverdiener zur Folge, die Schere zwischen Arm und Reich würde noch weiter auseinandergehen. Da es sich aber erstmals nur um Theorien handelt und eine Vertiefung in die sozioökonomischen Auswirkungen der Digitalisierung den Rahmen sprengen würde, sollten wir vorerst festhalten: Die Anzahl der Arbeitsplätze wird im Zuge der Digitalisierung vermutlich weniger eine Rolle spielen, als die Auswirkungen auf die Qualifikation und Art der Arbeit.
Wie sollte man als Unternehmen auf die Digitalisierung reagieren?
Es wird klar: Die Digitalisierung ist nicht Chance oder Risiko, sie ist beides zugleich. Entscheidend dafür, ob und wie stark man von ihr profitiert, hängt letztendlich von der Vorbereitung ab. Zum einen werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen, um beispielsweise Massenarbeitslosigkeit wie zu Anfängen der Industrialisierung oder einer Spaltung der Gesellschaft vorzubeugen, angepasst werden müssen. Zum anderen müssen sich auch die Unternehmen selbst weiterentwickeln. Neue Technologien können der Antrieb großen wirtschaftlichen Wachstums sein. Sie sorgen aber auch dafür, dass Unternehmen, die sich nicht adaptieren, leichter abgehängt und aus dem Markt gedrängt werden. Bei einer auf Internet, Informations- und Kommunikationstechnologien basierenden, digitalisierten Wirtschaft entscheiden die Mitarbeiterkompetenzen im Umgang mit diesen Technologien über die Effizienz, mit der der technische Fortschritt profitabel genutzt werden kann. Um sich und seine Mitarbeiter optimal auf das digitale Zeitalter und die damit einhergehenden Anforderungswandel vorzubereiten, ist es daher ratsam, die Hilfe von Weiterbildungen und Tech-Workshops in Anspruch zu nehmen oder bei der Einstellung neuer Mitarbeiter bereits darauf zu achten, dass eine gewisse Grundkompetenz vorhanden ist. Ebenso wichtig ist es, vor allem älteren Mitarbeitern die Angst bzw. das Misstrauen vor moderner Technologie zu nehmen und sie Stück für Stück an die Thematik heranzuführen. Eine gesunde Mischung aus älteren Erfahrungsträgern und jungen, technikbewanderten Mitarbeitern schafft beispielsweise den perfekten Nährboden für Teams, in denen beide Parteien voneinander lernen und profitieren können. Denn auf dem digitalisierten Markt von Morgen werden sich nur die Unternehmen durchsetzen können, die im Besitz der neuesten Technik sind und gleichzeitig Mitarbeiter haben, die diese Technik auch effizient und effektiv zu nutzen wissen.
Neben den Technikkompetenzen der Mitarbeiter ist allerdings auch ein angepasster, moderner Führungsstil nötig. Die Digitalisierung verändert nicht bloß Maschinen und technische Geräte, sondern oftmals auch bewährte Geschäftsmodelle und wie gearbeitet wird. Das Potential solcher Veränderungen zu erkennen und rechtzeitig darauf reagieren zu können, wird mit dem Begriff der „IT-Leadership-Kompetenzen“ zusammengefasst (IW Consult/BITKOM, 2013, 21). Diese „ (…) verhelfen Unternehmen dazu, neue Einsatzmöglichkeiten von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Leistungserstellung oder bei Innovationsprozessen zu finden, Grenzen der unterschiedlichen internen IKT-Systeme und Synergiepotenziale zu erkennen, sowie letztlich Spielräume für eine überbetriebliche Lösungsalternative mit IKT-Diensten zu identifizieren.“ (Hüsing et al., 2013, 67ff. ; IKT = Informations- und Kommunikationstechnik)
Sich diese Fähigkeiten anzueignen und auf seine Mitarbeiter zu übertragen sollte heutzutage das Ziel einer jeden Führungskraft sein. Nur wenn die richtungsvorgebenden Führungskräfte eng mit ihren Mitarbeitern zusammenarbeiten und diese dabei unterstützen, sich die für den neuen Kurs erforderlichen Fähigkeiten anzueignen, kann die Adaption an einen, sich immer schneller wandelnden Arbeitsmarkt, gelingen. Viele größere Unternehmen beschäftigen für diesen essentiellen Schritt bereits Tech-Experten, die zwischen den Ansprüchen und Erwartungen des Führungspersonals und der Mitarbeiter vermitteln, um eine optimale Kommunikation zu gewährleisten.
Es gibt zahlreiche Lösungsansätze, wie man an all diese neuen Herausforderungen innerhalb eines Unternehmens herangehen kann. Am wichtigsten aber ist zu verstehen: Digitalisierung heißt für ein Unternehmen nicht nur im Besitz der modernsten Technik zu sein. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, geeignete Mitarbeiter im Betrieb zu vereinen, um gemeinsam mit ihnen die neuen Herausforderungen zu bewältigen und dadurch das volle Potential aus den neuen Technologien ziehen zu können.
Fazit
Die Digitalisierung der Arbeitswelt – wir befinden uns bereits mitten drin, in einem Umbruch, der unser Verständnis von Berufen und Arbeit nachhaltig verändern wird. Während die Automatisierung im Anbetracht der Gesamtzahlen keine Arbeitsplätze zu kosten scheint und durch die Digitalisierung bisher mehr Jobs entstanden sind als vernichtet wurden, so bleibt doch die Ungewissheit: Wie wird sich die Qualität der Arbeit verändern? Welche Qualifikationsansprüche werden bestehen? Wie schnell wird sich der Einfluss der Künstlichen Intelligenzen bemerkbar machen und wie müssen Unternehmen umdenken, um sich auf dem Arbeitsmarkt von morgen halten zu können? Nur wer sich aufgeschlossen und mit modernen Denkweisen diesen neuen Fragen, Aufgaben und Problematiken stellt, wird am Ende vom gewaltigen Potential der neuen Technologien profitieren können.
Aufgrund der besseren Lesbarkeit werden ausschließlich die männlichen Formen benutzt, es sind aber selbstverständlich alle Geschlechter (m/w/d) eingeschlossen.
Autor: Linus Plesnila, Glasford International Deutschland Research & Analytics